Derek Grant und der unverhoffte offensive Frühling im Herbst der Karriere
6.12.2024, 10:00
Mit 446 NHL-Einsätzen gehört Derek Grant zu den prominentesten Akteuren im Kader des Team Canada. Seit seinem Wechsel 2023 nach Zürich hat der stämmige Center seinen Offensivgeist wiederentdeckt.
Als die ZSC Lions im Sommer 2023 einen ausländischen Center suchen, erinnert sich der Coach Marc Crawford an einen alten Bekannten: Derek Grant. Einen 1,91 Meter grossen Schlaks, dessen Platz in der NHL nach zehn Jahren als Ergänzungsspieler gefährdet ist, weil die Liga immer jünger wird. Crawford kennt Grant mehr als 20 Jahre – in der kanadischen Kleinstadt Langley war Grant einst ein Teamkollege von Crawfords Sohn Dylan (heute Videocoach der Vancouver Canucks) gewesen, und der Coach, der 1996 mit Colorado den Stanley-Cup gewann, half dort regelmässig aus. «Ich kenne ihn schon so lange, dass ich seinen Charakter gut einschätzen kann. Er ist ein Musterprofi und ein Leader. Ich bin sehr froh, dass die Verpflichtung geklappt hat, er ist eine sehr willkommene Addition für uns. Er ist bei weitem gut genug, um weiterhin in der NHL zu spielen», sagte Crawford 2023 über Grant.
Es ist ja durchaus üblich, dass Trainer ihre Schützlinge öffentlich über Gebühr loben. Und es gab schon Grund zur Skepsis: Grant war 33, gross und schwer. Für die National League und ihr horrendes Tempo gibt es Parameter, die bessere Erfolgsaussichten versprechen. Doch Crawford sollte auf der ganzen Linie recht behalten: Grant war eine der positiven Überraschungen der Saison 2023/24, er hatte grossen Anteil daran, dass die ZSC Lions ihren zehnten Meistertitel feiern konnten. Er schwang sich zu einem der besten, verlässlichsten Zwei-Weg-Center der Liga auf und war ZSC-intern eine höchst respektierte Führungsfigur. In den Playoffs gelangen ihm zwei Hattricks und neun Treffer. Jetzt, mit 34, spielt der Mann mit der markanten Zahnlücke sogar noch entfesselter auf: In der ersten Saisonhälfte war er mit 23 Punkten in 22 Partien der beste kanadische Skorer der NL hinter… Adam Tambellini, der für den Gastgeber HC Davos auflaufen wird.
Grant sagt, seine offensive Renaissance im Herbst der Karriere überrasche ihn nicht. «Im Juniorenhockey bin ich immer ein eher offensiver Spieler gewesen. Aber um es in die NHL zu schaffen, musste ich mein Spiel umstellen. Ich habe dabei viel von Luke Richardson gelernt.» Um in der Organisation der Ottawa Senators mit dem kanadischen Coach arbeiten zu können, beendete Grant sein Wirtschaftsstudium nach zwei Jahren vorzeitig. Ein riskanter Entscheid, der sich gelohnt hat. Und auch sein Coach machte Karriere: Richardson war bis anfangs Dezember Cheftrainer der Chicago Blackhawks mit Philip Kurashev – mittlerweile wurde er entlassen. 2016 machte er einen Zwischenschritt und arbeitete für Hockey Canada. Dabei führte er das Team Canada am Spengler Cup zum Titel, im Final bezwang sein Team den HC Lugano 5:2.
Vielleicht ist das ein gutes Omen für Grant, der mit den Kanadiern den 17. Triumph anstrebt: Wenn die Lektionen von Richardson so wertig waren, dass er sich ein Jahrzehnt lang in der besten Liga der Welt halten konnte, dann hat der Eishockey-Lehrer bestimmt auch ein paar Tipps dafür, wie man es anstellen muss, um in Davos an Silvester die grosse Party zelebrieren zu können.
Text: SLAPSHOT, das Hockey-Magazin der Schweiz Foto: Keystone/Urs Flüeler